Nicht die Dauer der digitalen Medien-Nutzung ist das Problem, sondern die Inhalte, die Kinder konsumieren. Schon Grundschulkinder sind Bildern von Gewalt, Pornographie und Rassismus ausgesetzt, wenn sie Zugang zu einem Smartphone haben. Wie sehr, das zeigt die Schulleiterin und Niedersachsens erste Digitalbotschafterin Silke Müller in ihrem Buch – mit echten Fällen aus dem Schulalltag und Kinderzimmern. Diese, und die Inhalte, um die es dabei geht, sind verstörend und aufrüttelnd: Bilder und Videos bestialischer Tierquälereien, Kriegsverbrechen und sexueller Gewalt, verschickt im Klassenchat, mit dramatischen Auswirkungen auf die Psyche der Kinder. Viele der Beispiele stammen aus Müllers eigener Erfahrung – wohlgemerkt: an einer in Sachen Umgang mit digitalen Medien hochengagierten Vorreiter-Schule. Umso eindringlicher ist der Appell an Eltern, Lehrerinnen, Lehrer und die Politik, nicht länger wegzusehen, sondern endlich die Grundlagen zu schaffen für eine zeitgemäße, an Werten orientierte Medienerziehung. Dabei geht es der Autorin eben nicht um Regeln, sondern darum, einen reflektierten und sicheren Umgang mit digitalen Medien zu finden auf der Basis eines moralischen Kompasses, also eine digitale Ethik zu entwickeln, die ganz offensichtlich nicht vorhanden ist. Oder wie eine Schülerin die Lage treffend beschreibt: "Wir haben im Politikunterricht über das Grundgesetz gesprochen. Im Artikel 1 steht ja, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass Menschenrechte die Basis von Gemeinschaft sind. Mag ja sein, dass das mal gestimmt hat, in sozialen Netzwerken auf jeden Fall gilt das ja wohl nicht." Dazu bedarf es einer neuen Ausei-nandersetzung mit Werten wie Gemeinschaftssinn, Empathie und Rücksicht, um dem Verlust von Würde, Respekt, Toleranz und Mitmenschlichkeit in den Sozialen Netzwerken entgegenzuhalten – nicht nur auf politischer oder beruflicher Ebene, sondern auch auf persönlicher Ebene.
Das Buch bringt drastisch und ungeschönt sehr deutlich die Folgen einer nicht vorhandenen digitalen Ethik für diese und folgende Generationen auf den Punkt. Silke Müller bleibt dabei nicht bei einem bloßen Appell und Forderungen zum Hinschauen, Zuhören und Handeln stehen. Sie zeigt auch auf, wie ein werteorientierter Medienkompetenzaufbau (an Schulen) gelingen könnte. Und sie zeigt mit praktischen Tipps, wo und wie Lehrerinnen, Lehrer und auch schon Eltern dabei ansetzen, ihre Kinder auf die Herausforderungen der digitalen Welt vorbereiten und vor den Gefahren im Netz schützen können.