Mehr als jedes fünfte Kind im Alter von 5 bis 11 Jahren fühlt sich zumindest manchmal alleine. Das zeigen aktuelle Auswertungen des Deutschen Jugendinstituts (DJI).
Einsamkeit ist in Deutschland weit verbreitet: Das subjektive Empfinden, dass die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen, hatten 19 Prozent der Erwachsenen im Jahr 2021/22 manchmal oder sogar häufiger. Dies betrifft nicht nur Angehörige der älteren Generation, sondern auch unter 30-Jährige. Die Werte liegen gerade bei den Jüngeren auch noch nach Ende der Coronapandemie auf erhöhtem Niveau.
Über das Ausmaß des Einsamkeitsempfindens bei Kindern geben nun erstmals aktuelle Auswertungen des Surveys "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten", kurz AID:A, des Deutschen Jugendinstituts (DJI) Aufschluss: Demnach berichteten 17 Prozent der 5- bis 11-Jährigen im Jahr 2023, dass sie sich manchmal alleine fühlen und 5 Prozent, dass sie dieses Gefühl häufig oder sogar ganz oft haben. Insgesamt fühlen sich also 22 Prozent der Kinder im Grundschulalter mindestens manchmal einsam – das entspricht mehr als jedem fünften Kind.
Einsamkeit betrifft besonders Kinder aus Trennungsfamilien und Haushalten mit finanziellen Problemen
Im Rahmen des AID:A-Surveys wurden im Jahr 2023 2.158 Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren in einem persönlichen, kindgerecht aufbereiteten Interview gefragt, wie oft sie sich in der letzten Woche alleine gefühlt haben, und sollten sich auf einer vierstufigen Skala von "gar nicht" bis "ganz oft" einordnen. Differenzierte Auswertungen machen deutlich, dass Kinder aus Trennungsfamilien besonders häufig Einsamkeit empfinden: So nennen 28 Prozent der Befragten, die bei nur einem Elternteil leben und 34 Prozent derer, die in einer Stieffamilie leben, dass sie sich manchmal, häufig oder ganz oft alleine fühlen, während das nur auf 22 Prozent der Kinder aus Kernfamilien zutrifft. "Die Trennung der Eltern ist für Kinder ein erheblicher Umbruch in ihrem Leben und kann ein Grund sein, dass sie sich – zumindest vorübergehend – einsam und in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt fühlen", erklärt Sozialwissenschaftlerin Dr. Alexandra Langmeyer, die zusammen mit Dr. Christine Entleitner-Phleps die AID:A-Daten ausgewertet und analysiert hat.
Finanzielle Belastungen erschweren die Teilhabe der Kinder und führen oft zu mehr Stress und einem schlechteren Familienklima
Auch finanzielle Sorgen im Familienhaushalt schlagen sich den Daten zufolge in höheren Einsamkeitswerten nieder: Während sich unter den Kindern aus deprivierten Familien, die sich notwendige und für den üblichen Lebensstandard charakteristische Ausgaben nicht leisten können, 29 Prozent mindestens manchmal alleine fühlen, sind es in den Familien ohne solche materiellen Einschränkungen nur 21 Prozent. "Finanzielle Belastungen können die Teilhabemöglichkeiten von Kindern beeinträchtigen und gehen außerdem häufig mit erhöhtem Stress und einem schlechteren Familienklima einher, was das Risiko für Einsamkeit erhöhen kann", erklären die Studienautorinnen.
Einsamkeit geht mit auffälligem Verhalten einher
Auch wenn sich nicht alle Kinder gleichermaßen alleine fühlen, steht fest: Einsamkeit im Kindesalter erhöht das Risiko für die Entwicklung von Depressionen und Angststörungen und kann langfristig die psychosoziale Entwicklung sowie das subjektive Wohlbefinden beeinträchtigen. Diesen Zusammenhang belegen auch die AID:A-Daten: Kinder, die von ihren Eltern anhand eines etablierten Screening-Instruments (Strengths and Difficulties Questionnaire, kurz SDQ) in ihrem Verhalten als auffällig eingeschätzt werden, fühlen sich deutlich häufiger alleine als Kinder, deren Verhalten als normal eingestuft wird – das gilt für die Einsamkeitsausprägungen manchmal (25 versus 17 Prozent) sowie für häufig oder ganz oft (9 versus 5 Prozent).
"Ob Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere im Umgang mit Gleichaltrigen, Auslöser für sozialen Rückzug und damit für ein erhöhtes Einsamkeitserleben sind, oder ob umgekehrt kindliche Einsamkeit das psychische Wohlbefinden beeinträchtigt und zu Verhaltensauffälligkeiten führt, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht klären", erläutern Langmeyer und Entleitner-Phleps. Um diese Frage beantworten und passgenaue Unterstützungsangebote für Kinder entwickeln zu können, fordern die Sozialwissenschaftlerinnen eine belastbare längsschnittliche Datenbasis für Deutschland, bei denen die Lebensverläufe einzelner Personen über längere Zeiträume hinweg beobachtet werden.