Im aktuellen Monitor Familienforschung - Ausgabe 45 stellt das Bundesfamilienministerium die Ergebnisse einer Studie des SINUS-Instituts zum Thema Familienfreundlichkeit vor. Die Studie untersucht erstmals, was Familien und angehende Eltern unter Familienfreundlichkeit verstehen, wie sie diese bewerten und welche Handlungsbedarfe sie sehen. Die Ergebnisse zeigen: Familien wünschen sich Respekt und Anerkennung - und zwar im gesellschaftlichen Miteinander ebenso wie in der politischen Gestaltung. Sie verbinden Familienfreundlichkeit mit konkreten Erwartungen an die Politik.
Was genau ist eigentlich Familienfreundlichkeit? Was macht Familienfreundlichkeit aus und wie steht es um die Familienfreundlichkeit in unserer Gesellschaft? Bisherige Untersuchungen zu diesem Themenfeld konzentrieren sich häufig auf einzelne Bereiche von Familienfreundlichkeit (zum Beispiel Vereinbarkeit von Familie und Beruf) oder bewerten und vergleichen bestehende familienbezogene Leistungen und Maßnahmen (zum Beispiel zwischen Ländern und Kommunen).
Die SINUS-Studie hat sich dem Begriff der Familienfreundlichkeit erstmals umfassend angenähert: um zu erfahren, wie die Familienfreundlichkeit aus Sicht der (potenziellen) Eltern bewertet wird, sowie Themen und Bedarfe zu identifizieren, die zu einer höheren Familienfreundlichkeit beitragen könnten. Erstmals sollen hierzu Beurteilungsdimensionen aus der Perspektive der Bevölkerung herausgearbeitet und somit die individuell erlebte Familienfreundlichkeit erhoben werden. Auf dieser Basis werden Hebel und Ansätze für die Steigerung von Familienfreundlichkeit in Deutschland identifiziert, um so neue Handlungspotenziale zu erschließen.
Vielfältige Bedarfe und Erwartungshaltungen
Familie wird heute auf vielfältige Weise gelebt und verstanden - nur 20 Prozent der Bevölkerung denken dabei ausschließlich an die sogenannte "klassische Kernfamilie". Entsprechend vielfältig sind auch die Bedarfe und Erwartungshaltungen an ein familienfreundliches Land: Es zeigt sich, dass Familienfreundlichkeit für die meisten (potenziellen) Eltern auf den ersten Blick ein emotional geprägter Begriff ist, der auf die Gesellschaft als Ganzes gerichtet ist und auf den zweiten Blick mit konkreten Erwartungen an die politische Gestaltung verknüpft wird.
Familien definieren Familienfreundlichkeit als eine über reine Toleranz hinausgehende Wertschätzung von Kindern und Eltern, sodass sie sich in einer Gesellschaft willkommen fühlen.
Familie zu haben, erzeugt grundsätzlich eine hohe Lebenszufriedenheit – trotz gegenwärtig erlebter Krisen und Unsicherheiten gilt: Menschen mit Kindern im Haushalt sind in allen Altersgruppen zufriedener als Menschen ohne Kinder im Haushalt.
44 Prozent der Eltern schätzen Deutschland als familienfreundlich ein (7 bis 10 Punkte auf einer Skala von 1 bis 10). Als Indikatoren für eine familienfreundliche Gesellschaft gelten aus Sicht der Bevölkerung:
- Normalität, dass Kinder und Familien zum öffentlichen Leben dazugehören
- Wohlwollende Einstellung gegenüber Kinderverhalten
- Aktive Unterstützung durch gemeinsames Miteinander von Menschen mit und ohne Kinder im Alltag
- Finanzielle Entlastung und Förderung (kostenfreie Schulbildung ohne Zusatzkosten, ausreichend Betreuungsplätze, Steuererleichterungen beispielsweise in Form einer Absenkung der Mehrwertsteuer auf Produkte für Kinder)
- Sensibilität für die Situation vulnerabler und marginalisierter Familien
Unterschiede in Bewertung nach Familienform und soziokulturelle Positionierung
Vor allem Alleinerziehende, Familien mit drei oder mehr Kindern sowie Patchworkfamilien betrachten Deutschland als mäßig bis kaum familienfreundlich. Gerade diese Familien vermissen Wertschätzung und Entlastung in einem oft fordernden Alltag. Die Bewertung der Befragten, wie familienfreundlich Deutschland ist, variiert nicht nur nach Familienform, sondern auch nach soziokultureller Positionierung.
- Je geringer Bildung und Einkommen sind, desto weniger positiv bewerten Eltern die Familienfreundlichkeit in Deutschland: Im Prekären Milieu fühlen sich 59 Prozent aller Familien nicht willkommen.
- Aufstiegsorientierte Milieus, zu denen das Milieu der Performer sowie der Adaptiv- Pragmatischen Mitte gehört, bewerten Deutschland als sehr familienfreundlich (vor allem junge Männer) und sehen kontinuierliche Verbesserungen, insbesondere hinsichtlich Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Grundsätzlich ist Familie für fast alle Befragten mit positiven Assoziationen verbunden, dazu gehören Gefühle (zum Beispiel Glück, Freude) und verschiedene Funktionen, die Familie erfüllt (Fürsorge, Schutz, Unterstützung, Spaß).
Dennoch: Familien erfahren das Leben mit Kindern als deutliche zeitliche und finanzielle Mehrbelastung. Letzteres betonen insbesondere Familien mit geringen Einkommen, aber auch Alleinerziehende und Eltern mit drei oder mehr Kindern. Fehlende Zeitsouveränität sehen hingegen fast alle Familien als Problem.
Dringendster Handlungsbedarf für Eltern
Familien mit Kindern erleben einen erschwerten Zugang zu verschiedenen Bereichen gesellschaftlicher Teilhabe. Dies betrifft vorrangig den Wohnungsmarkt, aber auch (weiterhin) den Arbeitsmarkt, insbesondere die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Zusammengefasst betrachten Familien in Deutschland folgende Handlungsbedarfe als dringend:
1. Verfügbarer und bezahlbarer Wohnraum:
- Die mangelnde Verfügbarkeit von Wohnraum ist aktuell einer der Hauptgründe, keine weiteren Kinder zu bekommen.
- Die Wohnungssuche wird zu einem Zielkonflikt zwischen bezahlbarem Wohnraum und verfügbarer Infrastruktur im Wohnumfeld, denn bei schlechter Ausstattung mit gesundheitlicher Versorgung und Bildungseinrichtungen entstehen hohe Folgekosten; der Wohnort bestimmt aus Sicht von Familien immer mehr über Status und Teilhabe.
- Die Sicherheit für Kinder im öffentlichen Raum muss deutlich verbessert werden, insbesondere mit Blick auf Verkehrsrisiken: Der Ausbau eines funktionierenden öffentlichen Nahverkehrs ist erforderlich, um für Kinder sichere Wege ohne nötige Begleitmobilität zu ermöglichen.
2. Soziale Sicherung:
- Insbesondere ressourcenschwache Familien fordern eine soziale Absicherung – zumindest für die Bedarfe der Kinder – und einen Schutz vor Altersarmut; insbesondere sollten Familien mit Unterstützungsbedarf möglichst unbürokratische Hilfe erhalten; Familien mit zwei Gehältern sollten von diesem Geld leben können.
- Eltern erwarten Chancengleichheit und soziale Aufstiegsmöglichkeiten; dies betrifft eine (weitgehend) kostenfreie Bildung und Förderung der Kinder sowie berufliche Weiterentwicklung bei der eigenen Erwerbstätigkeit.
- Familien mit mittleren und höheren Gehältern wünschen sich mehr steuerliche Entlastung, zum Beispiel durch einen geringeren Mehrwehrsteuersatz bei Produkten des täglichen Bedarfs für Kinder und Familien.
3. Vereinbarkeit von Familie und Beruf:
- Eltern wünschen sich mehr Zeit für Kinder bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit; zur Unterstützung erwarten sie ausreichende Verfügbarkeit von Kinderbetreuung oder die Unterstützung partnerschaftlicher Aufgabenverteilung, die entlastend wirken kann.
- Von Neuerungen wie flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice-Regelungen profitie- ren bislang kaum Eltern in schlechter bezahlten Berufen, die Anwesenheit und/oder Schichtdienste erfordern; hier fehlt auch noch ein Umdenken seitens der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber hinsichtlich Rücksichtnahme auf Familien, das in anderen Bereichen schon eher eingesetzt hat.
- Berufliche Weiterentwicklung sollte aktiv unterstützt werden - unabhängig von familiären Verpflichtungen und Lebensphasen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Hälfte der Familien Deutschland als familienfreundliches Land einschätzt. Auffallend ist dabei das Auseinanderdriften beim Erleben von Familienfreundlichkeit zwischen den sozialen Milieus und den Familienformen. Aus den Befunden lassen sich Implikationen ableiten und Ansatzpunkte entwickeln, um Familienfreundlichkeit in Deutschland zu stärken und auszubauen.